Kampf dem Atomtod

Kampf dem Atomtod

Am 16.04.1958 wurde im Turnerheim am Rosengarten ein „Arbeitsausschuss gegen den Atomtod“ gegründet dessen Schirmherrschaft der Bürgermeister Heinrich Gau übernahm.
In das Führungsgremium wurden der Krankenhausarzt Dr. Gustav Schunck, Stadtrat Adolf Jungblut, der DGB Vorsitzende Eugen Schwarz und der Mittelschullehrer Scheffler gewählt. Dem eigentlichen Ausschuss gehörten etwa 20 Wedeler Persönlichkeiten an. Diese hatten es sich zur Aufgabe gemacht, eine Kundgebung in Wedel zu organisieren, um eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr zu verhindern. Begonnen hatte der wachsende Widerstand in der bundesdeutschen Bevölkerung durch eine Aussage des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Dieser betonte, er würde in den Atomwaffen nicht mehr erkennen, als die Weiterentwicklung der Artillerie und daher würde die Bewaffnung der Bundesrepublik dieser Entwicklung folgen.
Diese Aussage klang nicht nur für den Bürger, der die Kriegszeit miterlebt hatte wie blanker Hohn. Auch in der Wissenschaft löste die öffentliche Verharmlosung der atomaren Gefahr große Bestürzung aus und brachte die westdeutschen Kernphysiker, unter ihnen Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker dazu, einen Appell zu formulieren. Am 12.04.1957 publizierten sie in der „Göttinger Erklärung“ über das Gefahrenpotential von Nuklearwaffen für den Weltfrieden und forderten den öffentlichen Verzicht auf die Herstellung, die Erprobung und den Einsatz von Atomwaffen.
Dennoch sprach sich der Bundestag am 25.03.1958 dafür aus, die Bundeswehr mit Trägersystemen für Atomwaffen aufzurüsten. Nach diesem Beschluss rollte eine Welle der Empörung über Deutschland. In vielen deutschen Städten gründeten sich Ortgruppen der außerparlamentarischen Kampagne „Kampf dem Atomtod“, die durch die SPD, die Kirchen und Gewerkschaften unterstützt wurden. Die durchgeführten Protestaktionen wie Schweigemärsche, Kundgebungen und Arbeitsniederlegungen trafen auf großes Einverständnis seitens der Bevölkerung. Allein bei der Großkundgebung am 19.04.1958 in Hamburg gingen 120.000 Menschen auf die Straße.
Bei der einen Monat später durchgeführten Kundgebung auf dem Schulauer Marktplatz waren es noch rund 2.500 Einwohner, die den Reden der stellvertretenden Kreispräsidentin des Kreises Pinneberg, Johanna Lucas und dem Bürgermeister Heinrich Gau zuhörten. Doch die Bundesregierung war nicht zu einer Umkehr vom eingeschlagenen Weg zu bringen. Als die SPD-regierten Bundesländer versuchten, einzelne Volksbefragungen zur Atombewaffnung durchzuführen, rief die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht an und ließ die Befragung für verfassungswidrig erklären. Die „Kampf dem Atomtod“-Bewegung wurde von der Regierungspartei als „kommunistisch gesteuert“ bezeichnet.
Nach dem das höchste deutsche Gericht das Urteil darüber gesprochen hatte, zogen sich wichtige Sympathisanten zurück. Die Bewegung verlor an Dynamik, und verlief sich u. a. auch dadurch, als Ende 1958 bekannt wurde, dass die Bundeswehr keine eigenen Atomwaffen erhalten sollte.
Auch in Wedel lief die Entwicklung so. Zunächst unterstützten Bürgermeister und der Chefarzt des Krankenhauses, Dr. Edmund Müller, offen die „Kampf dem Atomtod“-Bewegung und waren aktiv an der Befragung der Einwohner. Nach dem Verbot, so führte der Bürgermeister später an, hätte er den Vorsitz nur behalten, „um zu verhindern, dass staatsgefährdende Elemente sich dieses Ausschusses bedienen könnten“.
Dass diese Angst nicht ganz unberechtigt war, zeigte sich im Februar 1959. Rundfunkmedien aus der DDR berichteten umfangreich über die geplante Wedeler Befragung. Das Projekt begann, den Vorstandsmitgliedern aus dem Ruder zu laufen. Der Vorstand war bestrebt, die Schäden zu begrenzen und ein Teil des Vorstandes distanzierte sich daraufhin öffentlich von der nunmehr verfassungswidrigen Befragung und letztlich auch von der Bewegung. Dennoch - so teilt der Ortsausschuss Kampf dem Atomtod auf einer Flugschrift mit – sollen sich in den Tagen 28.02. und 01.03.1959 bis zu 90 % der über 8.000 wahlberechtigte Wedeler Bürger gegen eine Atombewaffnung der Bundeswehr ausgesprochen haben.

Auf die weiterhin aktiv gebliebenen Friedensaktivisten wurde nicht unerheblicher Druck ausgeübt. So schloss die SPD Wedel den langjährigen Stadtvertreter Walter Pawellek aus der Partei aus. Auch Otto Borchers und Egon Schwarz wurden aus der SPD ausgeschlossen. Die drei Betroffenen nennen in einem Flugblatt die Begründungen für den Ausschluss: Otto Borchers hätte eine 14tägige Urlaubsreise nach Moskau unternommen, Walter Pawellek sei mit Otto Borchers nach Berlin gefahren und hätte darüber hinaus die Moskau-Reise von Borchers nicht der SPD gemeldet. Eugen Schwarz hingegen wurde ausgeschossen, weil er in Leipzig auf der Gesamtdeutschen Arbeiterkonferenz über eben diese Volksbefragung gesprochen. hatte Alle drei versuchten vergeblich über das Schiedsgericht Einspruch gegen den Ausschluss zu erheben, aber auch der SPD-Parteivorstand in Bonn bestätigte den Ausschluss wegen parteischädigendem Verhalten im Oktober 1959.

Daraufhin schlossen sie sich zusammen, um als parteilose Kandidaten zur Kommunalwahl am 25.10.1959 anzutreten. Deren Hauptanliegen war weiterhin, die atomare Ausrüstung der Bundeswehr zu verhindern, zudem prangerten sie in Flugblättern die alten Partei-Seilschaften an und legten Finger in die Wunden. Sie schrieben vom ehemaligen SA-Mann Gerhard Schröder, der nun Innenminister sei, vom Kommentator der Nürnberger Rassegesetze Hans Globke, der Adenauers Staatssekretär war, von SS-General Heinz Reinefarth, der Abgeordneter im Landtag war, von der früheren KZ-Ärztin Dr. Herta Oberheuser, die bei Neumünster eine Praxis betrieb. Das wollte keiner hören. Drei Jahre später hatten sich die ehemals parteilosen Kandidaten gemeinsam mit anderen Personen unter der 1960 gegründeten Partei Deutsche Friedensunion zusammengeschlossen und versuchten es bei der Kommunalwahl 1962 erneut vergeblich, Sitze im Rat zu erringen. Die DFU stand kommunistischen Idealen nahe. Sie wurde verdeckt durch die SED finanziert und war eine eher wirkungslose Kleinpartei, die zudem nach der Gründung der DKP 1968 zahleiche Mitglieder einbüßte. Bei späteren Wahlen scheiterte sie regelmäßig an der 5 %-Hürde und gab letztlich 1984 ihren Parteienstatus auf.

 

Interessant sind die Wedeler Akteure. Da wäre zunächst Walter Pawellek. 1923 in Dortmund geboren, zog er 1950 mit seiner aus Holm stammenden Ehefrau nach Wedel. Von 1951 – 1959 war das SPD-Mitglied Teil der Stadtvertretung, aktiv war er u.a. im Sparkassenvorstand und im Finanzausschuss. In der Firma J.D. Möller war er Dreher und Vorsitzender des Betriebsrates. Über diese Stellung war er dort zudem Mitglied im Aufsichtsrat. Zum Jubiläum von J.D. Möller 1954 hielt Pawellek noch eine Lobeshymne auf die gute Zusammenarbeit mit dem Firmenchef Hugo Möller, aber 1956/57 knallte es zwischen beiden gewaltig. Es war die Zeit des großen Metallarbeiterstreikes 1956/1957. Während einer Betriebsversammlung anlässlich der Urabstimmung über den Streik am 22.01.1957 in Köhlers Gasthof stellte Pawellek Behauptungen auf, die Hugo Möller nicht auf sich sitzen lassen wollte. Ein Wort ergab das andere und Pawellek musste sich eine neue Beschäftigung suchen.
Nach dem Ausschluss aus der SPD (1959) und der Gewerkschaft engagierte er sich mehr und mehr in der Friedensbewegung. Er übernahm zeitweilig die schleswig-holsteinische Geschäftsführung der Deutschen Friedensunion, einer 1960 in Frankfurt gegründeten Kleinpartei. (Deren Wahlkampfleitung 1961 übrigens in den Händen von Klaus Rainer Röhl lag, dem Herausgeber der Zeitschrift konkret und Ehemann von Ulrike Meinhoff, der in den 1970ern einige Jahre in Wedel wohnte, aber das ist eine andere Geschichte). Anfang der 1970er Jahre ließ Walter Pawellek Wedel hinter sich und verzog nach Tinnum auf Sylt. Dort schloss er sich mit Pastoren der evangelischen Landeskirche u.a. zusammen zur Gruppe Christen für die Abrüstung und engagierte sich über Jahre hinweg in zahlreichen weiteren Friedensgruppen. Er verstarb 2012 auf Sylt.

Ein zweiter Aktivist war der Zimmermann Eugen Schwarz (1912-1978), ein gebürtiger Münchner, der während des Zweiten Weltkrieges auf Helgoland lebte. Er kam 1945 mit Frau und Kind nach Wedel und wohnte zunächst an der Rissener Straße bei der Ölweiche. Seine Frau verstarb jung 1947, und er heiratete erneut. Er übernahm den Vorsitz der Siedlergemeinschaft, die in gemeinschaftlicher Initiative Eigenheime errichtete. Er war auch Ortsausschussvorsitzender des DGB. Seit 1951 war er als bürgerliches Mitglied für die SPD im Ausschuss für Erwachsenenbildung, im Gesundheits- und im Siedlungsausschuss tätig. Kurze Zeit war er 1955 für den ausgeschiedenen Ratsherrn Walter Müller in der Stadtvertretung nachgerückt, wurde aber bei der Kommunalwahl im gleichen Jahr nicht wiedergewählt, sondern blieb weiterhin bürgerliches Mitglied. Als die SPD dem Bürgermeister Gau im Mai 1959 die Mitteilung über den Parteiausschluss überbrachte, berief die Stadtvertretung ihn aus dem Stadtwerkeausschuss ab und ernannte stattdessen den Bürger Fritz Möschter. Eugen Schwarz ging ebenso wie Pawellek in die Friedensunion. Einige Flugblätter und Informationsschriften, die Eugen Schwarz verantwortete, haben sich in den Unterlagen des Stadtarchivs erhalten. So auch für die Kundgebung „Rettet den Frieden!“, die mit anschließendem Vortrag durch Frau Prof. Dr. Clara-Maria Faßbinder, am 23.10.1960 im Saal der Ufer-Lichtspiele an der Feldstraße stattfand. Klara Marie Faßbinder (1890 – 1974) immatrikulierte sich im Jahr 1913 für die Fächer Geschichte, Philosophie und Romanistik an der Universität Bonn und war eine der ersten Frauen, die an einer deutschen Universität studierten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs übernahm sie eine Professur für Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Bonn, wurde aber wegen ihres Engagements für Frieden und für die Völkerverständigung mit der Sowjetunion bereits 1954 mit einem Berufsverbot belegt und von ihrer Lehrtätigkeit suspendiert.

Der Maler Otto Borchers * 1915 in Rendsburg kam 1941 nach Wedel und wohnte am Voßhagen. Er war der dritte Hauptakteur für die Bewegung, auch er zeichnete verantwortlich für Kundgebungen des Ortsausschusses Kampf dem Atomtod. So auch für die öffentliche Kundgebung mit einem Vortrag von Professor Dr. Franz Paul Schneider aus Würzburg, der am 11.06.1961 in der Schauburg in der Bahnhofstraße über das Thema Abrüstung und Entspannung spracht. Schneider (1902 – 1970), ein deutscher Staatswissenschaftler, der ab 1948 eine Professur für Staatswissenschaften an der Universität Würzburg hatte, war ein entschiedener Gegner der Wiederbewaffnung und ein Gründungsmitglied der DFU.


Die Geschichte der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ in Wedel ist in weiten Teilen noch rätselhaft und wartet nur darauf, entdeckt zu werden. Haben Sie weitergehende Informationen oder auch Abbildung der Personen, die aktiv waren, so melden Sie sich gern im Stadtarchiv.

 

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